„Über den Tellerrand hinaus“ – Dokumentenprozesse im Kontext

Die Digitalisierung von Dokumentenprozessen bietet eine Reihe von Vorteilen. Neben der Zeit- und Kostenersparnis ist hier vor allem eine verbesserte Prozessqualität zu nennen. Betrachtet man diese Prozesse nicht nur lediglich auf das einzelne Dokument und seinen Life-Cycle bezogen, sondern im Gesamtzusammenhang mit ihrer Integration und Interaktion, lässt sich noch weiterer Nutzen benennen.

Dieser soll im Folgenden dargestellt werden anhand eines kurzen Szenarios einer Kundenbestellung, ihrer Verarbeitung durch den Lieferanten mit anschließender (Falsch-)Lieferung sowie des Managements der darauf folgenden Kundenbeschwerde. Betrachtet man die Bestellung und ihre Verarbeitung als „Dokument“ mit dem sich anschließenden Dokumentenprozess, so wäre nach klassischer dokumentenzentrierter Betrachtung der Prozess bei der Verarbeitung des Auftrags abgeschlossen. In unserem Beispiel schließen sich aber weitere Prozesse an, die ihren Ausgangs- und Zielpunkt wiederum in dem Dokument„Bestellung“ haben.

kundenbeschwerde

Automatisierte Bestellannahme – mit Fehlern bei der Ausführung

Zunächst der Sachverhalt: Die Meier GmbH bestellt eine Palette mit Schrauben. Die Bestellung wird im ERP-System erzeugt und per Fax an den Lieferanten Schmidt GmbH übertragen; dort ist für die Bestellannahme ein System zur automatisierten Verarbeitung von Fax- und E-Mail-Aufträgen im Einsatz: Das Bestellfax wird per OCR (Optical Character Recognition) ausgelesen, zugleich bestimmt das System durch Vergleich in den Stamm-  und Materialdaten des ERP-Systems den bestellenden Kunden, die Lieferadresse sowie die bestellten Positionen. Der Auftrag wird automatisiert im ERP-System angelegt, zugleich wird eine Auftragsbestätigung erzeugt sowie ein Lieferschein, der im Lager mit der konfektionierten Ware verschickt wird.

Bei Erhalt der Ware stellt der Kunde jedoch fest, dass die Lieferung fehlerhaft ist: Die gelieferten Schrauben sind zu kurz und können in der Produktion nicht eingesetzt werden. Der übliche Reklamationsweg wäre nun ein Anruf beim Lieferanten oder eine E-Mail mit Bezug auf die ursprüngliche Bestellung, den Lieferschein, einer kurzen Erläuterung des Sachverhalts usw.

Zwar hat die Schmidt GmbH ihren Auftragseingang automatisiert, der Umgang mit dem Reklamationsvorgang dagegen ist unstrukturiert und birgt weiteres Optimierungspotenzial: Denn alle Vorgänge müssen in Absprache mit dem Kunden erfolgen – entweder per Telefon oder E-Mail. Denn der Ansprechpartner ist möglicherweise nicht der Bearbeiter; dieser muss intern das Lager kontaktieren, eventuell die Finanzabteilung, falls eine Gutschrift erstellt werden muss; ein Versender muss beauftragt werden, falls eine Rückholung nötig ist.

Strukturierte Reklamationsbearbeitung: alle Details online

Denkbar wäre nun ein strukturierter Prozess, etwa die Verarbeitung der Reklamation in einem Portal unter Zuhilfenahme der erfassten Bestelldaten, die bei der Bearbeitung des Dokuments „Bestellung“ angefallen waren. Dies würde dem Kunden eine schnelle Reaktion ermöglichen, ohne sich erst beim Lieferanten durchfragen oder Informationen nachliefern zu müssen, die beim ersten Kontakt womöglich nicht greifbar waren. Außerdem ließe sich der Bearbeitungsstatus der Reklamation jederzeit verfolgen. Für den Lieferanten ergäbe sich der Vorteil eines standardisierten Eingangskanals sowie strukturierter interner Prozesse, die durch das Portal gesteuert werden.

Der Produktionsleiter der Meier GmbH loggt sich demnach mit seinen individuellen Zugangsdaten in das Portal ein, das die Schmidt GmbH für Reklamationen zur Verfügung stellt. Dort erhält er zunächst eine Übersicht über alle Bestellungen des Unternehmens sowie über alte Reklamationsvorgänge. Sämtliche Bestelldaten aus dem ERP-System der Schmidt GmbH werden dort gespiegelt. Der Produktionsleiter wählt die entsprechende Bestellung aus und erhält dann alle ausgelieferten Bestellpositionen angezeigt. Er kennzeichnet nun denjenigen Posten, der die Falschlieferung betrifft, und gibt einen Kommentar ein. Nun kann er noch angeben, wie weiter verfahren werden soll: Gutschrift, Nachlieferung ohne Gutschrift oder Rückholung. Da er außerdem die Möglichkeit hat, noch Dateien an den Vorgang anzuhängen, fügt er Fotos hinzu, welche die Falschlieferung belegen. Nach Abschluss des Vorgangs erhält er eine Nachricht, dass die Reklamation eingegangen ist und bearbeitet wird. Der Status der Bearbeitung lässt sich darüber hinaus beim erneuten Log-in jederzeit überprüfen.

Bei der Schmidt GmbH wird der Reklamationsvorgang nun automatisch an den entsprechenden Bearbeiter, der für die Bestellung hinterlegt ist, weitergeleitet. Dieser prüft den Vorgang und kann – wenn beispielsweise das Portal mit einer internen Work-Flow-Lösung verknüpft ist – mit wenigen Mausklicks anhand der vorhandenen Informationen gegebenenfalls eine Nachlieferung auslösen, eine Gutschrift veranlassen oder auch die Reklamation in einem unklaren Fall ablehnen. Jeder Bearbeitungsschritt wird im Portal zur Einsicht durch den Kunden zur Verfügung gestellt. Auch aktive Benachrichtigungen durch standardisierte E-Mails zum Bearbeitungsstatus sind denkbar. Wenn auch mancher bei einer Beschwerde den „direkten Draht“ zum Lieferanten vorzieht und dort einen persönlichen Ansprechpartner zur Klärung haben möchte, liegen die Vorteile eines standardisierten Prozesses für beide Seiten auf der Hand: Zeitersparnis, weniger interne Reibungsverluste, zielgerichtete Reaktion auf die Reklamation und Transparenz über den Bearbeitungsstatus.

Kundenportal: Zugang zu allen Dokumentenprozessen

Das Szenario ließe sich sogar noch weiter ausbauen, etwa indem ein umfängliches Kundenportal zur Verfügung gestellt wird, in dem auch weitere Vorgänge und Dokumente, etwa Rechnungen, abgebildet werden. Somit würde ein solches Portal zu einer Schnittstelle sämtlicher Dokumentenprozesse, welche Kunden und Lieferanten betreuen – eventuell sogar mit mobilem Zugriff, was für Branchen wie dem Baugewerbe, wo dezentral auf Baustellen gearbeitet wird, interessant sein kann. Mit der klassischen DMS-orientierten Betrachtung eines separierten Dokumentenprozesses, etwa hier Kundenbestellungen, dort Kreditorenrechnungen, hat das nur noch im Ansatz zu tun und ist allenfalls ein Ausschnitt aus einer übergreifenden Prozesssicht.

Nur weil in diesen Prozessen keine Dokumente im klassischen Sinn entstehen – wie bei der geschilderten Reklamation –, bedeutet das nicht, dass diese für den jeweiligen „konkreten“ Dokumentenprozess ohne Bedeutung wären. Die Interaktion mit ERP-Abläufen, Workflow-Lösungen, Vertragsmanagementsystemen, Billing-Applikationen, mobilen Anwendungen oder, wie geschildert, mit Portalanwendungen macht es nötig, sich auch diesen Anwendungen zuzuwenden.

Zwar können sich umfängliche Automatisierungs- und Optimierungsvorhaben schnell zu unüberschaubaren Projekten mit schwer zu kontrollierenden Ausgaben und noch schwerer zu messenden Leistungskennzahlen auswachsen, dennoch lohnt sich der Blick über den Tellerrand hinaus: Denn dies kann beispielsweise zu der Besetzung eines Projekts oder einer Machbarkeitsstudie mit Fachabteilungen führen, die nur mittelbar von der Automatisierung eines Dokumentenprozess betroffen sind. Bleibt man beispielsweise bei der „Bestellung“ als Dokumentenart für einen bestimmten Prozess, so erzeugt diese wiederum eine „Ausgangsrechnung“ in einem weiteren Prozess. Salopp könnte man sagen: Ein Dokument kommt selten allein.

 

Dr. Rafael Arto-Haumacher

Als Leiter der deutschen Niederlassung von Esker beschäftigt sich Dr. Rafael Arto-Haumacher seit Jahren mit der Automatisierung von Dokumentenprozessen im Bereich des Order-to-Cash und Procure-to-Pay.

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